Februar 2004. Das 38. Super Bowl geht in die Halbzeitpause. 90 Millionen TV-Zuseher stürmen für rasche Geschäfte auf's WC oder in die Küche um Popcorn-Nachschub und kühle Drinks zu sichern. Nur ja nix verpassen! Der Show-Act in der Pause des für US-Amerikaner heiligsten aller Abende ist stets voll mit Sternchen und Super-Sternchen, die mit Gesangseinlagen die Herzen der Football-Fans auf ihrer ohnehin recht hohen Schlagfrequenz halten sollen.
Dieses Jahr im Rampenlicht: Janet Jackson und Justin Timberlake. "Rock Your Body" rockt auch die rund 100 Millionen Zuseher in der restlichen Welt. Dann das völlig Unvorhersehbare: bei der letzten Zeile "I'm gonna have you naked by the end of this song" reißt der tapfere Timberlake seiner Duettpartnerin mit einer bestens einstudierten Bewegung völlig unabsichtlich einen Teil des Kostüms vom durchtrainierten Leib. Und da ist plötzlich das im Bild, was unsere Freunde aus Übersee bis heute schockiert: die nackte Brust einer Frau! Der kollektive Schock, der für ihre Zurückhaltung und Schüchternheit bekannten US-Amerikaner, sitzt tief - bis heute. Dieser traumatische Moment ging als "Nipplegate" in die Geschichte ein. Glücklich, wer das ganze Spiel mitsamt Pausenfüller auf VHS oder besser auf DVD-R aufgezeichnet hat. So kann man Frau Jacksons prallen Busen gemeinsam mit Freunden oder gerade verhinderten Familienmitgliedern immer wieder bestaunen.
Jawed Karim, damals Mitarbeiter bei PayPal, gehörte nicht zu den Glücklichen und suchte online nach Aufnahmen des Vorfalls - vergebens. In einem Interview Jahre später erklärte er, die Schwierigkeit beim Finden eines Videos von "Nipplegate" hätten ihn inspiriert, eine Platform zum Teilen privater Videos zu schaffen. Gesagt, getan.
Entwicklung
Am 14. Februar 2005 gründete Karim mit zwei weiteren ehemaligen PayPal-Mitarbeitern, Chad Hurley und Steve Chen, YouTube. Der ursprüngliche Gedanke, mit YouTube so etwas wie eine Dating-Plattform zu schaffen (was wohl als besonders gewinnbringend angesehen wurde) war nach wenigen Tagen obsolet, als die drei bemerkten, dass die Leute eher Urlaubsvideos oder Clips von Haustieren hochladen wollten. Das Konzept wurde rasch geändert und YouTube wurde zur allgemeinen Videoplattform. Ob auch so früh schon "Nipplegate"- Clips dabei waren ist unklar. Man weiß ja: USA, Brüste... Wer registrierter Benutzer und volljährig ist, darf sich dort aber mittlerweile auch an Janet Jacksons Busen erfreuen. Das allererste hochgeladene Video trug den Titel "Me at the zoo" und wurde von Jawed Karim persönlich mit eben diesem Inhalt am 23. April 2005 hochgeladen.
Im Oktober 2006 - YouTube hatte damals weltweit rund 20 Millionen Nutzer - kaufte Suchmaschinengigant Google (heute Alphabet) die Plattform um schlappe 1,31 Milliarden Euro (in Aktien). Chad Hurley und Steve Chen blieben bei YouTube, Jawed Karim hatte von da an besseres zu tun. Einen Teil seines bescheidenen Vermögens steckte er anschließend als Risikoinvestor in Firmen wie Airbnb.
Daumen rauf
Seit Beginn gibt es eine Kommentarfunktion und die Möglichkeit sein "Gefällt mir" mit einem Klick auf's Daumen-nach-oben-Symbol auszudrücken. Das Symbol für "Gefällt mir nicht" wurde 2010 eingeführt, da waren es bereits 300 Millionen aktive Nutzer. Ab 2007 können Nutzer für ihre hochgeladenen Videos Werbeeinahmen generieren. Die Summe hängt vom Werbebudget in den einzelnen Ländern ab. Als Faustregel gilt: reiches Land, höhere Vergütung, Klicks in armen Ländern generieren weniger Einnahmen.
Eine Zeitstempel-URL verweist seit 2008 auf gewünschte Stellen im Video. 2009 wurde die automatische Erzeugung von Untertiteln auf Englisch eingeführt und 2012 auf sechs europäische Sprachen erweitert, mittlerweile sind es über 90 Sprachen. Wie auch bei anderen Plattformen und sozialen Netzwerken wurde und wird stets mit neuen Funktionen experimentiert. Mal kommt was dazu, mal kommt wieder was weg. Als besonders einschneidend empfinden viele Benutzer sicher das rigorose Vorgehen gegen die Verwendung von Werbeblockern seit Oktober 2023. Die Möglichkeit Videos ohne Werbeunterbrechung zu genießen gibt es seit 2015 mit der Einführung von YouTube Premium (vormals YouTube Red). Die Preise dafür variieren je nach Abo-Modell und Land zwischen 7,99 € (Lite und Studenten) und 35,99 € (Familienabo) pro Monat.
YouTube ist nach Facebook (Meta) die zweitgrößte Plattform im WWW überhaupt. Es ist eine Welt für sich und bietet mit eigenen Sparten für Spiele, Musik, Spielfilme oder Dokumentationen für (fast) jeden das passende Angebot. Im Bereich Video Sharing und Streaming beginnen langsam Konkurrenten Boden gut zu machen, aber mit geschätzten 45 - 50 % Marktanteil am gesamten Videoportal-Kuchen besteht noch gehöriger Abstand zu den Mitbewerbern (Netflix 15-20%, TikTok 10-15%, Facebook Watch 5-10%, Twitch 5-7%). Allerdings lag der Anteil YouTube's im Jahre 2008 noch bei stolzen 73% aller Besuche von US-Videoportalseiten.
Daumen runter
Aber nicht jeder mag Youtube. Von einigen Seiten gibt's für die Plattform einen dicken Daumen nach unten: verboten ist YouTube in China, Nordkorea und Turkmenistan. Im Iran ist es nur eingeschränkt verfügbar. Auch in der EU ist vielen die freie Rede ein Dorn im Auge und ohne stärkere Zensur- und Eingriffsmöglichkeiten für staatliche und staatsnahe Organisationen könnte es für US-amerikanische Plattformbetreiber und Anhänger des Rechts auf freie Rede in Europa bald eng werden. Den Daumen auf ganz nach unten hatte 2018 auch die 39-jährige Nasim Najafi Aghdam, nachdem sie mit 350.000 Aufrufen nur 0,10 Dollar an Werbeeinnahmen erzielte. Sie fuhr daraufhin bewaffnet in die YouTube-Zentrale in San Bruno, San Francisco, und schoss um sich. Drei Personen erlitten Schusswunden, anschließend tötete sich die Amokläuferin selbst. Berichte, Polizeiaufnahmen und ein Bodycam-Video eines Polizisten, der die Interaktion mit Aghdam vor dem Angriff zeigt, gibt es natürlich auch auf - wo sonst - YouTube!