Screenshot Inventar, "The Witcher III"
Auch im dritten Teil verschwindet der Hexer von Welt oft in seiner vollgestopften Umkleidekabine

Die Bücher des polnischen Autors Andrzej Sapkowski (geb.1948) rund um den Auftragshexer Geralt von Riva blieben bis 2007 außerhalb der immer größer werdenden Gemeinde der Mittelalter- und Fantasy-Fans weitgehend unbekannt. Das Setting bildet eine von Sagen und Mythen durchtränkte Welt, in der hin und wieder Schnipsel aus den Märchen der Gebrüder Grimm und von Hans Christian Andersen auftauchen. In Polen lief zwar ein Zusammenschnitt des 2001 gedrehten Kinofilms „Wiedźmin“ 2002 im TV als Miniserie, der Sprung vor ein breites internationales Publikum gelang aber erst mit dem Erscheinen des ersten Teils der bisher dreiteiligen Spielreihe "The Witcher". Was dann Netflix ab 2019 daraus gemacht hat, erhöht sicher seinen Bekanntheitsgrad, aber auf TechnoSoph wird darüber auch in Zukunft nichts zu lesen sein.

 

The Witcher (2007)

Das kleine polnische Entwicklerstudio CD Project RED war Anfang des Jahrtausend nur eines von vielen, das mit der Distribution und Lokalisierung bekannter AAA-Titel (wie "Baldur's Gate") seine Brötchen verdiente. 2002 wurde dort die Idee für ein im Mittelalter angesiedeltes Action-Role-Play Game (RPG) geboren. Als Story bot sich die fünfteilige Buchreihe Sapkowskis an, einem ehemaligen Ökonom und Wirtschaftsberater, der ins literarische Fach gewechselt war. Der wollte keine Gewinnbeteiligung, sondern trat die kompletten Rechte dafür zum Spottpreis von 35.000 Sloty (~ 8.000 Euro) ab. Dass es gerade einem ehemaligen Wirtschaftsberater an finanziellem Weitblick mangelt, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Gut, dass er die Branche gewechselt hat.

Eine kostengünstige Story-Vorlage war also vorhanden, fehlten noch Entwicklungs-Engine - und Spiel. Man entschied sich für BioWares Aurora-Engine (Lizenzsumme unbekannt), musste allerdings den Großteil der Engine umschreiben bzw. für das neue Spiel adaptieren. BioWare ist  keine kleine Klitsche, zu ihren bekanntesten Titeln zählt beginnend mit "Baldur's Gate", "Star Wars: Knights of the Old Republic", die "Mass Effect"-Reihe und die  "Dragon Age"-Reihe. Die Engine war optimal für die im zweiten Teil aufgegebene isometrische Ansicht (Vogelperspektive), nebst Schulterkamera (OTS, Over-the-Shoulder) und einer stark segmentierten, beschränkten Spielwelt. Diese Abschnitte (Sumpf, Tempelstadt, Kare Morhen etc.) waren durch Ladebildschirme getrennt, Open-World ist was anderes.

Es dauerte fünf Jahre bis das Spiel fertig war und 2007 erschien. Von den Kritikern gelobt, trübten eine Menge Bugs, lange Ladezeiten und Performance-Probleme das Spielvergnügen. Die Animationen wirkten steif, das Kampfsystem sperrig, das Inventar unübersichtlich. Ein durchwegs positives Echo fanden hingegen die dichte Atmosphäre und die spannend erzählte Geschichte, die durch knifflige Gewissensfragen zu verschiedenen Handlungssträngen mit drei verschiedenen Enden führte.

Bedeutend rosiger wurde die Akzeptanz dann endlich durch die 2008 erschienene Überarbeitung, die "Enhanced Edition". Diese reduzierte die lästigen Ladezeiten um bis zu 80%, die Performance wurde gründlich erhöht, zahlreiche Bugs ausgebügelt, Animationen und Kämpfe wurden deutlich flüssiger. Außerdem wurde das Inventar überarbeitet, neue Sprecher kamen zum Einsatz und besonders erwähnenswert: es gab zwei neue Bonusquests ("Side Effects" und "The Price of Neutrality"), den D'jinni Adventure Editor zum Quests-Basteln und für Käufer der Box-Version noch eine Making-of-DVD plus Weltkarte. Das Beste daran war aber der Preis, die "Enhanced Edition" war für Besitzer des Originals kostenlos. 

 

The Witcher II - Assassins of Kings (2011)

Der zweite Teil erschien nach gut drei Jahren Entwicklungszeit und nutzt die hauseigene RED Engine (inkl. HAVOC für physikalische Effekte). Waren während des ersten Teils die meiste Zeit nur 15-25 Entwickler, gegen Ende dann rund 50 im Einsatz, stockte man für den zweiten auf über 100, in der heißen Phase auf 150 Mitarbeiter, auf. Die isometrische Ansicht wurde aufgegeben, die Kamera bleibt nun immer auf Geralts rechter Schulter, kann aber mit Maus oder Controller um den Hexer herumbewegt werden. Beim Zielen mit der Armbrust oder in engen Tunnels passt sie sich automatisch der veränderten Situation an. Mit einem "Regie-Modus", der für die Dialogszenen genutzt werden kann, bekommt der Spieler sogar einen kleinen Hauch Kino-Erlebnis.

Der Sprung vom ersten Teil zum zweiten ist enorm. Zusätzlich zu den nun in Echtzeit zu klickenden Kämpfen, bekamen Fallen, Bomben und das Schleichen mehr Gewicht. Letzteres ermöglicht ein eigener Stealth-Modus. Die Gegner gehen jetzt taktischer vor und Möglichkeiten wie die toxische Überladung durch Zaubertränke, die jetzt immer nur vor dem Kampf konsumiert werden können, bieten mehr Risiko oder bringen echte Vorteile. Ob und wenn ja, welche, lässt sich nur durch Ausprobieren herausfinden. Rüstungssets, Runen und Waffen-Upgrades sind ebenfalls neu.

Mächtig zugelegt hat auch die Wahlfreiheit zwischen vielen spielverändernden Entscheidungsmöglichkeiten, die komplette Abschnitte umkrempeln und in insgesamt 16(!) verschiedenen Enden münden. TechnoSoph hält das für vorbildlich, Grund zum mehrmaligen Durchspielen ist so eindeutig vorhanden. Der große Trumpf bleibt weiterhin die stimmige, dichte Atmosphäre inklusive origineller Charaktere. Auch die erweiterten Loot-Möglichkeiten und ein raffiniertes Crafting-System inkl. Bauplänen tragen dazu bei. Schließlich variieren die manchmal versteckten oder die (meist) leicht zu findenden Gegenstände je nach gewähltem Story-Pfad. 

Auch für diesen Teil erschien eine "Enhanced Edition" (2012) mit neuen Spielmodi (Arena-Modus, Dark Mode), einem verbesserten Tutorial zur Einführung und allerlei technischen Optimierungen zur Performance-Steigerung, sowie ein überarbeitetes Interface. Wie beim ersten Teil: es war für Besitzer des Originals kostenlos. Zusätzliche Freunde machte sich CD Project RED mit regelmäßigen kostenlosen DLCs, die neue Nebenquests boten ("Troll Trouble", "Sackfull of Fluff"), den Hexer neu frisierten und stylten (inkl. kleiner Boni auf Waffen, Tränke und Magie). Auch ein neuer Händler mit exklusiver Ware, der von nun an in jedem Abschnitt auftauchte,  erweiterte nach erfolgtem Download das Spiel. Installierten sich "The Witcher" bis heute rund 1 Million Spieler (illegale Kopien zählen nicht) auf ihre Systeme, kommt "The Witcher II" bereits auf 10 Millionen, also die perfekte Ausgangsbasis für einen erfolgreichen dritten Teil. 

 

The Witcher III - Wild Hunt (2015)

Der mit zahlreichen Vorschusslorbeeren bedachte und heiß ersehnte dritte Teil kämpfte nach dem Erscheinen - wie so oft bei CD Project RED - wieder mal mit nervigen Bugs und Performance-Problemen. Mal war Pferd Plötze unsichtbar, mal schwebten NPCs entgegen den Gesetzen der Schwerkraft über dem Boden. Menschen haben nun mal keine Zauberkräfte und die magischen Drinks bekommen ihnen auch nicht, also kein Grund abzuheben - und die Clipping-Fehler waren auch keine Sinnestäuschungen. Die Entwickler reagierten aber umgehend und veröffentlichten innerhalb weniger Monate eine Reihe Patches mit hunderten Bugfixes und zur Wiedergutmachung insgesamt 16 kostenlose DLCs mit neuen Quests, Rüstungen und - Frisuren. So gut wie alle Bugs wurden beseitigt, was Spieler wie Kritiker gleichermaßen freute. Was Spieltiefe, Stimmung und Gameplay angeht, kommt seit damals keiner mehr an diesem Meisterwerk vorbei. 

Die RED Engine war 2015 bei Seriennummer 3 angelangt und zaubert eine phantastische Märchenwelt mit stets stimmungsvoller, der Tageszeit angepasster, Beleuchtung auf die Monitore. Geschmeidige Bewegungen in den von sehenswerten Effekten begleiteten Kämpfen, beim normalen Stadtbummel oder beim gemütlichen Trab durch die weitläufigen, liebevoll gestalteten Landschaften tun ihr übriges und lassen auch den nicht gerade Fantasy-affinen Spieler tief in die Pixel-Scheinwelt eintauchen. Auch dieser Teil bietet keine echte Open-World, wozu auch? Die Maps sind dermaßen groß und die gesamte Spielwelt derart umfangreich, dass dieser Umstand nicht weiter stört. Open-World allein macht bekanntlich auch nicht glücklich. Hier gibt es in beinahe jedem(!) Gebäude was zum interagieren oder looten, auf jedem Meter der endlosen Reisen kann irgendein Kraut oder Gehölz gesammelt werden, oft liegt wer zum Plündern tot herum oder riskiert frech seinen letzten Atemzug, bevor ihm der Garaus gemacht wird und seine Taschen geleert werden. Kann man machen, muss man aber nicht. Da sind die Satteltaschen ohne nicht zum Spiel gehörigen Cheat schnell voll - für TechnoSoph der einzige notwendige. Logistik-Fans brauchen nicht mal den. Weitere Mods, Cheats und Trainer zu allen Teilen bleiben aus einem einfachen Grund unerwähnt: es ist ein Fass ohne Boden.

Bei diesem Spiel läuft einfach alles geschmeidig und rund, auch der Schwierigkeitsgrad kann ohne Zwischenspeichern oder Neustart geändert werden. Das Laden der Speicherpunkte und beim Story-Wechsel dauert auch mit schnellen SSDs ein bisschen, aber bei der Fülle an Content und der Größe der Maps ist das kein Wunder. Immerhin kommt das nicht oft vor, zwischen den einzelnen Regionen gibt's keine Ladezeiten (außer bei der Schnellreise). Die Crafting- und Kombinationsmöglichkeiten erreichen nicht den Umfang von Spielen wie "Elden Ring" (FromSoftware), sind aber schlüssig, überschaubar und wirken daher "realistisch". Das ist überhaupt eine der bisher ungenannten Stärken der Reihe: trotz Märchenwelt, Monster und Zauberkräften bleibt alles völlig nachvollziehbar und logisch, etwas Phantasie und Kombinatorik vorausgesetzt. Nie driftet das Spiel in psychedelisch anmutendes Gameplay ab, trotz zauberhaft schöner Welt und mysteriöser Monster und den zahlreichen Spezialfähigkeiten des Hexers. 

Manchmal wechselt man auch den Charakter und schlüpft damit in die digitale Haut von Ciri, Geralts Ziehtochter. Diese besitzt völlig anderen Fähigkeiten und spielt eine Schlüsselrolle in der in drei Akte unterteilten Geschichte. Diese wird hier nicht erzählt, die darf der Leser bitte selbst erleben. Wie sie endet, bestimmen wie gewohnt die Entscheidungen im Verlauf des Spiels. Drei verschiedene Enden sind möglich, diese sind nicht vorhersehbar.  

Die beiden Erweiterungen "Hearts of Stone" (2015) und "Blood and Wine" (2016) sind eigenständige Kapitel in Geralt von Rivas Leben, die aber natürlich eng mit seiner Vergangenheit verwoben sind. Wie diese ausgehen, hängt auch wieder von den Vorlieben und moralischen Entscheidungen des Spielers ab. Die erste Erweiterung hat zwei Enden, die zweite drei. Ein in jeder Hinsicht packendes Spiel mit gut erzählter Geschichte zum öfter spielen, mit mehreren alternativen Handlungssträngen und unterschiedlichen Enden. 

"Witcher III" ist auf PC, Xbox One/X/S und PlayStation 4/5 ebenso zuhause wie auf Nintendos Switch, verkauft wurden bisher mehr als 60 Millionen Kopien. 2022 erschien, anlässlich der Portierung auf die neuesten Konsolen von Microsoft und Sony, das kostenlose NextGen-Update, das dem Spiel auch auf dem PC noch einmal einen letzten grafischen Schliff besorgte, mit Raytracing-Unterstützung, höher aufgelösten Texturen, noch mehr Details bei Gras oder Schatten und einer neuen alternativen Kamera.

Gwent

Die zur Atmosphäre beitragenden und akzeptabel gestalteten In-Games, wie der Würfelpoker aus den ersten beiden Teilen, weichen im dritten Teil einem strategischen Kartenspiel mit Such(t)faktor. Spezial-Karten wollen erst gefunden und gesammelt werden, dann wird man Profizocker, was in einer Quest auch nötig ist - oder auch nicht. Dieses Spiel gibt es seit 2018 auch in einer kostenlosen Stand-alone Version: "Gwent: The Witcher Card Game". Bei den ersten Versuchen damit kam bei TechnoSoph aber keine richtige Freude auf. Es fehlte dazu einfach die Atmosphäre von "Witcher III", inklusive Wirtshausambiente und darin herumlungernden illustren Gegnern. Aber vielleicht hat man ja auch da inzwischen nachgebessert. TechnoSoph schaut mal, ob's Updates gibt um sich damit ein bisschen die Zeit bis zu "Witcher IV" zu vertreiben.

 

"Plötze, nicht jetzt." Geralt von Riva, wenn wiedermal sein Gaul mitten im Bosskampf auftaucht.