Als Schwammtaucher im Jahr 1900 zwischen den Inseln Kythira und Kreta auf die versunkene Schiffsladung eines antiken Frachtschiffes stießen, gab's ordentlich was zu feiern. Derart alte Münzen, wertvolle Bronzestatuen und Amphoren findet man schließlich nicht alle Tage. Ein Glück, dass auch die unscheinbaren, vom Salzwasser stark korrodierten seltsamen Fragmente gehoben wurden. Was diese darstellen, begann man erst zwei Jahre später zu erkennen. Museumsdirektor Valerios Stais (1857-1923) war der erste, der sich für das immer weiter zerfallende Konglomerat aus Metallteilen und Zahnrädern interessierte. Seine Vermutung, es handle sich dabei um eine Maschine mit deren Hilfe die alten Griechen Planetenbewegungen, Mondphasen, Sonnenfinsternisse und unzähliges mehr berechnen konnten, blieben vorerst Theorie, bis gut 75 Jahre nach der Bergung die Durchleuchtung mit Röntgengeräten begann. Diese bestätigte die Vermutung der inzwischen zahlreichen Historiker, Ingenieure und Hobbyforscher, darunter der bekannte Ozeanologe Jacques-Yves Cousteau, der 1953 mit seiner "Tauchenden Untertasse" SP-300 weitere Fragmente und Wrackteile barg. Die Radiokarbonmethode lieferte für das Holz des Schiffrumpfs einen Zeitraum zwischen dem 2. und 3. Jahrhundert v.Chr., die gefundenen Münzen ließen eine genauere Datierung des Untergangs zu, der sich zwischen 70 und 60 v.Chr. ereignet haben muss.
Computer?
Das seltsame Gerät darf hochoffiziell als analoger Computer bezeichnet werden, das ist nicht allein der Begeisterung TechnoSophs geschuldet: der britische Wissenschaftshistoriker und Mitbegründer der Szientometrie (Lehre des Messens) Derek de Solla Price (1922-1983) war der erste, der diesen Begriff 1953 auf den Jahrtausendfund anwandte. Auch das renommierte University College London (UCL) benutzte 2021 diese Bezeichnung in ihrer Berichterstattung. TechnoSoph kennt natürlich die korrekte Definition von "Computer" (frei programmierbar, verarbeitet und speichert Daten automatisch, liebe Grüße an Herrn Turing!) und weiß, dass die freie Programmierbarkeit bei diesem Gerät eher nicht gegeben war. Diese erfolgte bei Konstruktion und Zusammenbau, ihr Programm war also fest kodiert. Aber Datenverarbeitung, gespeicherte Daten und automatische Ausgabe sind immerhin vorhanden - da wollen wir bei diesem phantastischen antiken Apparat mal nicht so kleinlich sein.
(Re-)Konstruktion
Derek de Solla Price war nicht nur der erste, der die etwas hochgegriffene Bezeichnung "Computer" verwendete, er war auch der erste, der die Arbeitsweise des Geräts (annähernd) richtig verstand und mit ihrer Rekonstruktion begann. Aus den 82 Fragmenten konnte er außen eine doppelte Ringskala (für Datum und Tierkreiszeichen), eine vorn angebrachte Liste für die Auf- und Untergangszeiten verschiedener Sterne, ein Einstellelement in Form eines Sonnenzeigers und innen ein Zahnradgetriebe mit drei Getriebestufen erkennen und rekonstruieren. Das Getriebe ermöglichte es über einen zweiten Zeiger auf derselben Achse den Verlauf der Mondphasen abzubilden. Price stützte sich dabei auf noch erkennbare Inschriften, Zahl der Zähne und Anordnung ihrer Zahnräder. Aus diesen ergibt sich mit etwas Rechenarbeit ihre Funktion, da die angezeigten astronomischen Vorgänge glücklicherweise den selben mathematischen Gesetzmäßigkeiten folgen wie Zahnräder in einem Getriebe. Bei den Anzeigen auf der Rückseite lag er leider falsch, er wich dabei von der vorgefundenen Anzahl an Zähnen ab. Das korrigierten später andere.
Der britische Kurator des Science Museum in London Michael Wright (geb.1948) und der australische Computerhistoriker Allan Bromley (1947-2002) kritisierten und korrigierten die Arbeiten von Price. Bromley verstarb leider am Beginn der gemeinsamen Forschungsarbeit. Wright lebt noch und fand vier weitere Zahnräder, zusätzlich zu den 27 von Price. Darüber hinaus erkannte er eine weitere spiralförmige Skala auf der Rückseite, deutete aber ihre Funktion nicht korrekt. Ein bisher unentdecktes Zwischenrad ermöglichte eine Richtungsumkehr und ein weiteres kleines Zahnrad bewegte wahrscheinlich eine Kugel, die in einem von ihm entdeckten halbkugelförmigen Hohlraum Platz fand - zur Anzeige der Mondphasen.
Verfeinert und verbessert werden die bisherigen Erkenntnisse bis heute im Rahmen des Antikythera Mechanism Research Project, das seit 2002 vom Astronomen Mike Edmunds und dem Mathematiker und Dokumentarfilmer Tony Freeth organisiert wird. Die beiden Briten konnten nicht nur auf besseres Bildmaterial durch die Verwendung der Computer-Tomographie zurückgreifen, es tauchte auch noch ein weiteres Fragment auf. So konnten sie Fehler ihrer Vorgänger korrigieren und übriggebliebene Lücken schließen. Dazu gehört die richtige Interpretation der Spiralskala auf der Rückseite, die aus 4 Spiralen besteht und mit nun detailliert erkennbaren Unterteilungen beschriftet ist. An den Spiralen ließen sich damit eindeutig erkennbar markierte Sonnen- und Mondfinsternisse ablesen.
Form und Funktion
Die Zahnräder haben eine Stärke von 1-2 mm und wurden genauso fein aus einem Bronzeblech geschnitten wie die der ersten mechanischen Uhren im 13. Jahrhundert. Auf der ursprünglich sich in einem Holzkasten befindlichen 31,5 x 19 x 10 cm großen Apparatur befanden sich 51 Monatsbeschriftungen, 18 davon sind erhalten geblieben. An ihnen konnten durch Drehen der Zeiger u.a. Sonnen- und Mondfinsternisse und die Verhältnisse der Periodendauer der beiden Himmelskörper abgelesen werden. Eine Anzeige diente der Bestimmung einer Vierjahresperiode (einer Olympiade). Insgesamt 7 Ringskalen, zwei Zeiger und eine Kugel ermöglichten das Ablesen der 12 Ägyptischen Monate, der Babylonischen Tierkreiszeichen, des Jahreskalenderdatums, der Position der Sonne im Tierkreis, der Umläufe und Phasen der damals bekannten Planeten (Merkur, Venus, Mars, Jupiter, Saturn), Auf- und Untergänge wichtiger Sterne und Sternbilder und vieles mehr.
Herkunft
Wer für die Herstellung dieses bisher in der Antike einmaligen Objekts verantwortlich zeichnet, ist noch nicht geklärt. Freeth und weitere Forscher vermuten, es stammt aus dem Umfeld des in Syrakus wirkenden Archimedes (287-212 v.Chr.). Der lebte zwar über ein Jahrhundert vor dem Untergang des Schiffs, aber bereits der römische Politiker, Philosoph und Geschichtsschreiber Marcus Tullius Cicero (106-43 v.Chr.) beschrieb eine von Archimedes konstruierte "Sphäre", die die Bewegungen von Sonne, Mond und den fünf bekannten Planeten zeigte. Außerdem lassen erkennbare Reparaturen auf einen längeren Nutzungszeitraum schließen und die Raffinesse und der Funktionsumfang sind sicher nicht von heute auf morgen plötzlich in dieser Form vom Himmel gefallen. Vielmehr steckt einiges an Entwicklungsarbeit in so einer Gerätschaft und es darf davon ausgegangen werden, dass sie nicht das einzige Modell ihrer Art war und dass es Vorläufer gab, sowie eine feinmechanische Tradition, die derart Erstaunliches hervorbrachte. TechnoSoph freut sich schon auf das nächste Wrack mit Wundermaschinen aus der antiken Welt.