Milchstraße
Eine weitere Vermutung Demokrits: die Milchstraße besteht einfach aus vielen, vielen Sternen

„Nur scheinbar hat ein Ding eine Farbe, nur scheinbar ist es süß oder bitter, in Wirklichkeit gibt es nur Atome im leeren Raum.“

Das Kleinste

Das altgriechische "tomos" bedeutet "Schnitt", die verneinende Vorsilbe "a-" macht daraus das "Unschneidbare", also das Unteilbare. Der erste, der in der Moderne den von Leukipp und Demokrit geprägten Begriff des Atoms wieder aufgriff und systematisch verwendete, war der englische Physiker John Dalton (1766-1844). Mit seiner Atomtheorie (1803) legte er den Grundstein für die moderne Atomphysik, die später von Thomson, Rutherford und Bohr weiterentwickelt wurde und in der Folge zu den heute aktuellen Modellen wie der Quantenmechanik führt. 

Demokrit war zwar Gelehrter in nahezu allen zu seiner Zeit bedeutenden Bereichen, von Biologie über Medizin bis zur Kriegsführung, bewandert in Mathematik, Astronomie und Physik, aber in erster Linie war er Philosoph. Also jemand, der den Dingen auf den Grund geht und aus Auswirkungen und Folgen des Beobachteten Schlüsse zieht, die - wenn er es wünscht - auch in konkreten Weltanschauungen oder Handlungsempfehlungen münden können. Welche Bestandteile des Gesamtkunstwerks Mensch dann die Zeiten überdauert, entscheidet oft der Zufall oder die Größe der Ideen, die es hervorbringt. Bei Demokrit waren es wohl beide Faktoren, aber bekannt ist er heute vor allem wegen dem, womit er anscheinend nicht ganz falsch lag oder zumindest bis heute für einen Großteil der Teilchenphysiker die Forschungsrichtung vorgibt. Das Atom stellt die kleinste Einheit für chemische Elemente dar, aber wie wir wissen, geht's noch viel, viel kleiner und Stringtheoretiker brauchen als Kernelement für ihr Weltmodell gleich gar keine Teilchen mehr, nur mehr Felder, zusätzliche Dimensionen und eindimensionale Fäden aus Energie.

Abseits der Namenspatenschaft für das Atom liefert Demokrit ein philosophisches Modell mit direktem Bezug zum alltäglichen Leben und den Hindernissen, die dieses mit sich bringt. Das kann für jedes Individuum hilfreich sein, nicht nur für Teilchen jagende Physiker, und ist dadurch das eigentlich Bedeutsame in Demokrits Vermächtnis. 

Philosophie und Leben

Demokrit von Abdera lebte zwischen 460/459 bis 370 v.Chr. und steht in einer Linie mit den vor seiner Zeit wirkenden Ionischen Naturphilosophen (7.-6.Jhdt v.Chr.), die man auch gern als Urahnen der modernen Naturwissenschaft sehen kann. Sie waren die ersten, die versuchten Natur rational zu erklären, ohne Rückgriff auf Götter oder Mythen. Obwohl Demokrit bereits zur selben Zeit wie Sokrates lebte, ist seine Philosophie noch nicht von Sokrates (einen Beitrag über ihn gibt es hier) beeinflusst. Er ist eine zentrale Figur der sogenannten Vorsokratiker. Sein Lehrer war der aus Ionien (Milet) stammende Philosoph Leukipp und gemeinsam gelten sie als Begründer des Atomismus. Demokrits Philosophie ihrerseits hatte großen Einfluss auf Epikur und Platon.

Wenn alles nur aus allerkleinsten Teilchen besteht und nur der Tanz dieser Teilchen miteinander bestimmt, wie sich die Welt ausformt und verhält, warum dann nicht auch Gefühle, Sorgen und Ängste auf diese zurückführen? Sind dann gefühlte Zwänge und Leid nicht nur Einbildung? Demokrit meint dazu: Leid ist real, aber es ist sinnlos zu leiden. Vielmehr sei es, angesichts des Umstandes, dass man den unerbittlichen Kräften der Natur immer ausgesetzt bleibt, angebracht, eine positive, heitere Haltung zu bewahren. Niemand entkommt den Vorgängen, die auf Ebene des Allerkleinsten alles entscheiden: ob Trauer, Glück oder Liebe, stets sind diese, für Demokrit aus geometrischen Körpern bestehenden, kleinsten Teilchen für alles verantwortlich. 

Demokrit ging davon aus, dass es eine unendliche Zahl an verschiedenen unteilbaren kleinsten Teilchen geben müsse, die durch ihre Form (Würfel, Kugel, Pyramide etc.), aber auch durch ihr Gewicht, unterschieden werden können. Kommen unterschiedlich schwere Teilchen zusammen, verhalten sie sich, wie man es aus der sicht- und greifbaren Welt kennt. Die leichteren haben die Neigung sich zu sammeln und obenauf zu schwimmen, die schwereren sinken nach unten. Die menschliche Seele müsse aus den allerfeinsten, leichten Teilchen bestehen, die beim Atmen dem Körper ständig neu hinzugefügt und wieder ausgestoßen werden. Stirbt jemand, entweichen diese Teilchen langsam aus dem Körper und es kommen keine neuen mehr nach.

Auch unsere Sinneseindrücke sind nur im Körper erzeugte, durch einen ständigen Teilchenstrom ausgelöste, Bilder. Alles verströmt unaufhörlich diese Teilchen, die Umwandlung in Sinnesreize oder Bilder verfälscht dabei stets die wahre Natur der Objekte. So sind weder konkrete Aussagen über die Welt möglich, noch physikalische Prozesse wirklich erklärbar, da der Beobachter stets das Beobachtete verfälscht und so nie zum wahren Sachverhalt vordringen kann. Diese Einsicht, zu der nach Demokrit die in der göttlichen Welt beheimatete Seele den Menschen befähigt, bleibt dem Körperlichen und damit dem Menschlichen für immer versagt. Oberstes Gebot sei es, von den menschlichen, stets irrenden auf Leiblichkeit ausgerichteten Gedanken abzulassen und so zu dieser tiefsten und befriedigendsten Erkenntnis zu gelangen. Sie sei das einzig Erstrebenswerte und führe zum höchsten Glück, der Gelassenheit (Ataraxie).

Man könnte jetzt einwenden, der Mann hatte leicht reden: er entstammte einer reichen Familie in der ionischen Kolonie Thrakien und verbrachte einen großen Teil seiner Zeit mit Reisen. So gelangte er auch nach Babylon, ein Abschnitt in seinem Leben, der ihn stark beeinflusste. Die Sorgen eines Sklaven oder einfachen, armen Bürgers kannte er nicht. Andererseits ist dieses losgelöst sein von gewöhnlichen Zwängen noch keine Garantie für die angestrebte Gelassenheit und Ergebenheit in die Umstände, in denen man sich befindet. Es obliegt jedem Individuum selbst, sich für den Weg ins größte Glück der göttlichen Seelenwelt zu begeben oder im Elend der menschlichen, leiblichen Gelüste zu verharren. Wenn man bedenkt, dass Sokrates aus freien Stücken sich für die Armut entschied und auch andere bedeutende Denker der Antike ihr Leben lang nur Armut kannten, scheint Reichtum zwar eine günstige Ausgangsposition für geistige Arbeit zu sein, eine Garantie dafür ist es nicht.

Demokrit war laut Überlieferung nicht nur gelassen, er war sogar stets dermaßen heiter, dass man ihn bis heute als den "lachenden Philosophen" bezeichnet. Ob diese Bezeichnung ganz seinem glückseeligen Gemütszustand geschuldet war oder mit seiner Geburtsstadt Abdera in Thrakien zusammenhängt, wird wohl nie restlos geklärt werden. Abdera galt in der griechischen Antike als eine Art Schildbürgerstadt, deren Bewohnern man ähnliche Beschränktheit nachsagte wie später ihren, in der Sammlung aus Schwänken ("Das Lalebuch", 1597) erwähnten Nachfolgern, den Schildbürgern.

Abschließend kann herausgehoben werden, dass Demokrits streng materialistische, atomistische Weltsicht alles auf zufällige und dem Menschen nicht zugängliche Prozesse zurückführt und ein Eingreifen, Widerstand oder Unzufriedenheit sinnlos erscheinen lassen. Der Überlieferung nach - es sind so gut wie keine Schriften Demokrits erhalten - ließ er sich, als er seinen Tod kommen sah, eine Wanne mit Honig füllen und legte sich in diese. Damit wollte er die kleinsten Teilchen, die die Seele bilden, beim Verlassen des Körpers einfangen und sich damit quasi selbst beim Sterben zusehen. In wie weit ihm das schlussendlich geglückt ist, ist nicht bekannt. 

Nährt sich die Philosophie oft von Zweifeln und dem Beobachten der menschlichen Irrungen, ist dennoch ein ausgeglichener, heiterer Zustand auf keinen Fall ausgeschlossen. Das macht Mut und bietet eine Perspektive jenseits des heute überall anzutreffenden Pessimismus. Vielleicht ist das Demokrits wichtigstes Erbe und nicht die "zufällige" Namensgebung durch einen neuzeitlichen Physiker für das, was Demokrit eigentlich immer schon vorausgesehen hat.  

„Mut steht am Anfang des Handelns, Glück am Ende.“