Kernfission, die Spaltung von Atomkernen, kommt in der Natur nicht allzu häufig vor, aber sie tut es: im afrikanischen Gabun befindet sich in Oklo ein natürlicher Kernreaktor, der vor rund 2 Milliarden Jahren mit der Spaltung des dort in hoher Konzentration im Boden vorkommenden Uran-235 begonnen hat. Keine Sorge: nach rund 500.000 Jahren war die dafür notwendige Konzentration nicht mehr gegeben und der (durch Grundwasser moderierte) Spaltprozess stoppte. Hin und wieder kann es bei radioaktiven Isotopen wie Uran-238 oder bei Plutonium-240 auch zu spontaner Selbstspaltung kommen. Die Wahrscheinlichkeit dafür (Uran-238: 0,000055%) ist allerdings fast so gering wie für einen Lotto-Sechser (6 aus 49), der ist allerdings noch 76.000x seltener. Das Verschmelzen von Atomkernen (Kernfusion) kommt in der Natur recht häufig vor - ein Blick in den Nachthimmel genügt, um sich davon selbst zu überzeugen - auf der Erde aber bisher recht selten. Bei der Kernspaltung ist es mittlerweile genau umgekehrt.
Zu verdanken haben wir diesen Umstand einer Reihe Physiker, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf die Veränderung von Atomkernen durch Beschuss mit hochenergetischen Teilchen aufmerksam wurden. Ernest Rutherford (NZ) beobachtete 1917 als erster einen Fusionsprozess (genaueres hier), als er Stickstoffkerne mit Alphateilchen beschoss. Durch die Entdeckung des Neutrons durch James Chadwick (GB) im Jahr 1932 ergab sich eine Möglichkeit Kerne zu zertrümmern oder ihnen Neutronen hinzuzufügen. Enrico Fermi (I) gelang 1934 die erste Kernspaltung, indem er Uran-235 mit Neutronen bestrahlte. Er deutete das Ergebnis seines Experiments allerdings nicht richtig. Der erste Beweis dafür gelang 1938 Otto Hahn (D) und seinem Assistenten Fritz Straßmann (D), die zusammen mit Lise Meitner (D) Fermis Experimente fortführten und dabei leichtere Elemente wie Barium erzeugten.
²³⁵U + ¹n → ²³⁶U* → ⁸⁹Kr + ¹⁴⁴Ba + 3⋅¹n + ca. 200 MeV
(Uran-235 + 1 Neutron ergibt Uran-236, das zerfällt und ergibt Krypton-89 + Barium-144 + 3 Neutronen + 200 MeV Energie, die freigesetzt wird)
Lise Meitner war zum Zeitpunkt dieser Entdeckung nicht mehr in Deutschland, sie musste vor den Nationalsozialisten nach Schweden flüchten. Enrico Fermi war es dann, dem 1942 an der University of Chicago (USA) die erste kontrollierte Kettenreaktion im allerersten vom Menschen gebauten Kernreaktor gelang. Nur im letzten Moment konnten Fermi und sein Team am Chicago Pile-1 (CP-1) einen GAU (größter anzunehmender Unfall) vermeiden und so eine Kernschmelze verhindern. Also beste Vorzeichen für die weitere nukleare Zukunft. Ebenfalls in den USA gelang ein weiterer Meilenstein der Menschheitsgeschichte: die Zündung der ersten Atombombe 1945. Bisherige Atombombenexplosionen auf der Erde insgesamt (an der Oberfläche und unterirdisch): über 2000.
Warum ist bei der Kernspaltung stets von Uran-235 die Rede? Geht das nicht auch mit anderen Elementen? Grundsätzlich geht das sehr wohl auch mit Elementen, die weniger Protonen und Neutronen im Kern haben. Bei diesen braucht man allerdings derart hohe Mengen an Energie für die Zertrümmerung des Kerns, dass der Aufwand sich nicht lohnt - weder zur Stromerzeugung, noch als Kriegsgerät. Uran-235 hingegen ist für eine Kettenreaktion bestens geeignet, in der Natur aber eher selten und muss in Gaszentrifugen oder durch Gasdiffusion angereichert werden.
Das stabilste Uran-Isotop, Uran-238, ist zugleich mit über 99% das häufigste in der Erdkruste vorkommende Uran-Isotop und daher jenes, das wir auf der Tafel des Periodensystems finden. Es hat die Ordnungszahl 92. Die Anzahl der Protonen (92) + 146 Neutronen = Massenzahl 238. Dieses ist nicht direkt spaltbar und kommt daher in aktuellen Leichtwasserreaktoren nicht zum Einsatz. Es kann die Kettenreaktion mit langsamen Elektronen nicht aufrecht erhalten.
Thorium-Reaktoren (Prototypen sind in China bereits im Einsatz) sind gerade der letzte Schrei der Reaktortechnik - abgesehen von Kleinstreaktoren - und verwenden das nur äußerst schwach strahlende Element Thorium. Dieses kommt in der Natur beinahe zu 100% als Thorium-232 vor. Für die Initialzündung braucht man allerdings wieder Uran-235 (oder Plutonium-239). Damit werden freie Neutronen produziert, mit deren Hilfe dann aus Thorium (Massenzahl 232) Uran-233 erbrütet wird. Dieses ist dann der eigentliche Brennstoff. Der experimentelle chinesische Reaktor TMSR-LF1 nutzt eine Mischung aus Lithium-Beryllium-Fluorid mit Uran-235 und Thorium-232, um die Reaktion aufrecht zu erhalten. Also immer wieder Uran-235. Schwerere Elemente (Plutonium und höher) sind höchst unpraktisch: einerseits strahlen sie heftiger, sind zusätzlich chemisch toxisch und daher noch viel gefährlicher und sie kommen - weil äußerst instabil - auf der Erde in natürlicher Form gar nicht vor.
Über Umwege kann mit Uran-238 auch Plutonium-239 erzeugt werden, das dann wiederum spaltbar ist. Dieses Konzept ist bekannt aus dem "Schnellen Brüter", von dem es weltweit nur wenige gibt. Zu komplex ist die dafür nötige Kühlung mit flüssigem Natrium. Außerdem will niemand Plutonium in größeren Mengen in seiner Nähe haben: bei Inhalation kann Plutonium bereits in Mikrogramm-Mengen Krebs verursachen, orale Aufnahme ist bei 10-20 Milligramm definitiv tödlich.
Radioaktive Strahlung
- Alpha-Strahlung besteht immer aus Heliumkernen, also aus Paketen mit 2 Protonen und 2 Neutronen. Zum Abschirmen reicht ein Blatt Papier.
- Beta-Strahlung sind abgegebene Elektronen und werden von einem Telefonbuch gestoppt.
- Gamma-Strahlung ist am energiereichsten und daher am gefährlichsten. Zur Abschirmung braucht es mehrere Zentimeter dickes Blei, mehrere Meter Wasser oder bis zu 1m dicke Betonwände.
Beim Zerfall der Atome freigesetzte Neutronen und Neutrinos zählen nicht zur klassischen ionisierenden Strahlung. Neutronen sind elektrisch neutral, sie ionisieren nicht. Sie können keine Elektronen aus Atomen oder Molekülen herausschlagen, die dann als sogenannte Ionen unterwegs sind. Neutrinos sind ohnehin ständig immer und überall unterwegs, interagieren nur extrem schwach mit Materie, durchdringen so gut wie alles und sind praktisch ungefährlich.
Hier die noch die Halbwertszeiten (Zeitspanne, in der die Hälfte der Atomkerne zerfallen ist) der im Artikel genannten Elemente:
- Uran-235: 703 Millionen Jahre
- Uran-238: 4,4 Milliarden Jahre
- Plutonium-233: 20 Minuten
- Plutonium-239: 24.100 Jahre
- Thorium-232: 14 Milliarden Jahre
Klingt alles schrecklich gefährlich, ist es aber nur zum Teil. Uran und Thorium kommen ohnehin in der Erkruste und an der Erdoberfläche vor, die Menge und die Konzentration machen wie immer das Gift. Bei Plutonium ist diese Menge aber dermaßen klein, dass "Teufelszeug" eine durchaus gerechtfertigte Bezeichnung für dieses Abfallprodukt der Atomindustrie darstellt. Auf passende Endlagerstätten konnte man sich noch nirgends einigen und die, die's gibt, können nicht wirklich als sicher bezeichnet werden. Weder die in den Salzstöcken der Asse (D) vor sich hinrostenden tausenden Metallfässer, noch die unter freiem Himmel herumliegenden Fässer auf russischem Boden machen einen vertrauenswürdigen Eindruck. Wer glaubt, sonst wäre es überall sicher, glaubt auch an den Osterhasen - und sogar der fürchtet sich vor GAU und Super-GAU. Aber leider: Energie braucht der Mensch. Wie soll er sonst seine Zahnbürste per Elektromotor zum vibrieren bringen, wenn die nicht mal per Bluetooth ans Smartphone funkt? Das von regelmäßigen Erdbeben und der Reaktorkatastrophe von Fukushima (2011) ordentlich gebeutelte Japan zeigt vor, was optimistischer Pragmatismus ist: nach ein paar Jahren Moratorium sind bereits die nächsten Kernreaktoren in Bau. Verständlich, im "Land der aufgehenden Sonne" ist man dermaßen technikverliebt, sogar Toilettenspülung kommt nicht mehr ohne Strom und Mikroelektronik aus. Und wie sagten schon die alten Römer: "No risk, no fun".