Dieser Artikel wird etwas länger und widmet sich in der ersten Hälfte enstehenden und explodierenden Sternen und in der zweiten Hälfte dem, was erfindungsreiche Geister daheim auf der Erde mit dem zugrunde liegenden Prinzip der Fusion bisher schon alles angestellt haben und was sie damit noch vorhaben - und natürlich wie sie darauf gestoßen sind. Los geht' s mit der Rezeptur für einen gelungenen Stern.
Im All
Man nehme für's erste aussreichend Wasserstoff, der mit 90% Anteil an der Gesamtmenge der Atome im Universum reichlich vorhanden ist, und kühle ihn auf mindestens -252 °C ab. Die gefrorene Gaswolke sollte am besten um ein vielfaches größer als unser Sonnensystem sein. Vakuum sorgt dafür, dass der Haufen (kein Druck) nicht flüssig wird, sondern direkt in den festen Zustand übergeht (Sublimation). Hat man ausreichend gefrorene Teilchen zusammen, sorgt die Schwerkraft dafür, dass alles Richtung Schwerpunkt wandert und dann schlagartig Richtung Zentrum stürzt. Ist der Gravitationsdruck im Inneren des sich immer weiter komprimierenden Haufens groß genug, passiert das, was Sterne in ihrer Jugend halt so machen: sie beginnen zuerst Protonen des häufigsten Wasserstoffisotops Protium (¹H = 1 Proton, kein Neutron) zu Deuterium (²H = 1 Proton, 1 Neutron) zu verbinden und in weiterer Folge zu Heliumkernen (mit je 2 Protonen und 2 Neutronen) zu verschmelzen. Die Masse der einzelnen Heliumkerne ist kleiner als die Summe der ursprünglichen Wasserstoffkerne, dafür nimmt die Bindungsenergie zu. Die Differenz (der Massenverlust durch Bindungsenergie) wird nach Einsteins Formel E = mc² in die entsprechende Menge Energie umgewandelt.
Diese überschüssige Energie wird in Form von Photonen als Gammastrahlung und als kinetische Energie der Teilchen abgegeben. Das sollte eigentlich das gefrorene Gas wieder auseinander treiben, aber da unsere Menge an Wasserstoff ja groß genug ist, wirkt der Gravitationsdruck gegen die Expansionsgelüste des im Inneren mittlerweile recht hitzigen Wasserstoffs (und des erzeugten Heliums). Bleiben die beiden Kräfte im Gleichgewicht, bekommt unser Stern seine adrett platonische Form einer Kugel. Wichtig sind also für's erste Kälte und ausreichend Masse. Diese sorgt dafür, dass alles dicht genug komprimiert ist und die Energie im Inneren hoch genug wird. Fehlt's an Masse, zündet nichts und wir erhalten immerhin hübsche Gasriesen wie Planetenkollege Jupiter oder Saturn (und Konsorten). Über den genauen Prozess der voranschreitenden Fusion in unserer Sonne und exotischere Sterne und quasi-stellare Objekte im Universum erscheinen in Zukunft weiterführende Artikel auf TechnoSoph|Physik.
Im Prinzip können Atomkerne jeden chemischen Elements fusioniert werden, aber nicht während der Lebenszeit eines Sterns. Die Voraussetzungen dafür sind nicht bei allen Elementen gleich und schon gar nicht in allen Sternen. In massereichen Sternen fusioniert Wasserstoff zu Helium, dieses wiederum zu Lithium usw. bis zum Eisen. Da die schweren Elemente nach innen drängen und sich außen die leichteren ansammeln, entstehen Schalen wie in einer Zwiebel. Das sogenannte Schalenbrennen beginnt, wenn im Kern kein Wasserstoff mehr übrig ist. In der äußersten Schale wird weiterhin Wasserstoff zu Helium fusioniert, in der nächsten Schicht Helium zu Kohlenstoff und Sauerstoff, in den inneren Schichten Kohlenstoff zu Neon, Magnesium und schließlich zu Silizium. Im Kern fusioniert Silizium schließlich zu Eisen. Die entstehenden Elemente benötigen immer mehr Energie zum fusionieren, aber Eisen setzt bei der Fusion keine Energie mehr frei - im Gegensatz zu den 25 Elementen, die auf der Tafel des Periodensystems vor Eisen angeordnet sind. Der Fusionsvorgang stoppt. Da dadurch das Gleichgewicht aus Gravitationsdruck nach innen und Strahlungsdruck (thermischer Druck) nach außen zugunsten der Gravitation aus dem Tritt gerät, implodiert das kugelförmige Gebilde zuerst, um anschließend heftigst zu explodieren. Vorausgesetzt die Masse ist mindestens achtmal größer als die unserer Sonne, darf eine Supernova bestaunt werden - bitte unbedingt den nötigen Sicherheitsabstand von 30 Lichtjahren einhalten!
Übrig bleibt ein extrem dicht gepackter Neutronenstern. Günstig an Supernova (und Hypernova, ab 30 Sonnenmassen): durch die Explosion fusionieren auch schwerere Elemente in bedeutenden Mengen und so kommen wir glücklicherweise zu all unseren Elemente des Periodensystems. Außerdem sorgt so eine Nova auch für die gerechte Verteilung der Elemente im All. Ungünstig allerdings: ab 25 Sonnenmassen ensteht bei so einer Veranstaltung kein Neutronenstern, sondern ein Schwarzes Loch. Hier gilt beim Sicherheitsabstand: Eltern müssen ihre Kinder beim Spielen unbedingt vom Ereignishorizont fernhalten, sonst ist der Nachwuchs weg.
Unsere Sonne hat zu wenig Masse um Elemente, die schwerer sind als Wasserstoff und Helium, zu fusionieren. Das macht sie aber dafür schon seit 4,6 Milliarden Jahren in beschaulichem Tempo. Die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Kerne im Kern fusionieren ist äußerst gering: nur etwa jede 10.000 Begegnung zweier Protonen im Sonneninneren führt tatsächlich zur Fusion. Ist der Druck größer, weil mehr Masse vorhanden ist, steigt die Wahrscheinlichkeit. Riesensterne wie Stephenson 2-18 oder Betelgeuze haben millionen- bis milliardenmal mehr Masse, fusionieren zügiger und sind dafür aber schon nach wenigen Millionen Jahren erledigt und sterben dann standesgemäß ihren explosiven Sternentod. Astronomen und Hobby-Sterngucker weltweit warten schon auf die Supernova des Betelgeuze, der gerade seine letzten Atemzügen macht. Bei uns im Sonnensystem hat man dagegen noch ein paar Milliarden Jahre Zeit. Im Kosmos herrscht aber ohnehin wenig Eile: allein bis so ein bei der Fusion abgegebenes Photon die Sonnenoberfläche erreicht, vergehen zwischen 10.000 und 100.000 Jahre. So lange trödelt es im Sonneninneren herum und trifft mal auf das eine, dann das nächste Teilchen. Eilig hat es das Photon erst, wenn es auf dem Weg zur Erde ist. Die 150 Millionen zu uns erledigt es in 8 Minuten. Ist ihr Wasserstoff verbraucht - pro Sekunde werden 4 Millionen Tonnen Wasserstoff in Energie umgewandelt - wird Helium fusioniert, dann ist Schluss. Dann dehnen sich die äußeren Schichten aus und die Sonne wächst erstmal zu einem hübschen Roten Riesen heran. Diese Schichten werden anschließend abgestoßen, übrig bleibt ein Weißer Zwerg.
Die Voraussetzungen für derartige Vorhaben sind auf unserem hübschen Gesteinsplaneten (allein schon aus Platzgründen) leider nicht wirklich gegeben. Aber warum nicht eine Apparatur konstruieren, die mit weniger Druck, aber dafür höherer Temperatur, ebenso Protonen verschmelzen kann? Also auf zur heimatplanetarischen Kernfusion:
Erstmals beobachtet wurde Kernfusion auf der Erde durch Ernest Rutherford (NZ) 1917 bei Experimenten mit Alphateilchen - bereits vor der Entdeckung der Kernspaltung. Alphateilchen (oder Alphastrahler) sind immer Heliumkerne, also 2 Protonen und 2 Neutronen. Die erste beobachtete Kernreaktion war eine endotherme Fusionsreaktion, also eine chemische Reaktion (jede chemische Reaktion ist zugleich ein physikalischer Prozess), die durch Zuführen von Energie auftritt. Passiert eine Fusion, bei der hingegen Energie frei wird, bezeichnet man sie als exotherm. Rutherford experimentierte mit Stickstoff und Helium und erzeugte daraus Sauerstoff und Wasserstoff.
¹⁴N + ⁴He → ¹⁷O + ¹H - 1,2 MeV (die 1,2 Megaelektronenvolt entsprechen der Energie, die für die Reaktion nötig ist)
Die erste exotherme Fusion auf unserem Planeten gelang dann 1934 Mark Oliphant (AUS), einem Assistenten von Rutherford und Paul Harteck (A). Er beschoss das Wasserstoffisotop Deuterium (²H) mit Deuteriumkernen (also ohne das eigentlich obligate Elektron), wobei zwei verschiedene Produkte entstanden.
²H + ²H → ³He + ¹n + 3,3 MeV (Endprodukt Helium + 1 Neutron + 3,3 MeV überschüssige Energie)
²H + ²H → ³H + ¹p + 4,0 MeV (Endprodukt Wasserstoff + 1 Proton + 4,0 MeV überschüssige Energie)
Anwendung
Der Mensch hat sich, seit er vom Baum geklettert ist, ja nicht großartig weiter entwickelt und so wurde die technische Nutzung dieser Entdeckung naturgemäß in alter Affenmanier zu aller erst für die militärische Nutzung in Betracht gezogen. In den USA zuerst im "Project Matterhorn", dann im "Project Sherwood" bis Edward Teller und Stanislaw Ulam die erste Wasserstoffbombe "Ivy Mike" konzipierten. Der explodierte am 1. November 1952 im beschaulichen Eniwetok-Atoll im Pazifik (Teil der Marshall-Inseln).
Auf der Seite des ewigen Rivalen UdSSR bastelte Andrei Sacharow (Friedensnobelpreisträger und "Held der sozialistischen Arbeit") an vergleichbarem Spielzeug, entwickelte aber auch zusammen mit Igor Tamm 1950 das heute noch verwendete Konzept eines thermonuklearen Reaktors in Form eines Donuts (Torus) mit magnetischem Einschlusses des Plasmas - den "Tokamak" - für die friedlichen Nutzung der Kernfusion. Als Plasma wird übrigens Gas bezeichnet, in dem sich (üblicherweise durch ausreichend Hitze) die Elektronen frei bewegen und nicht mehr an ihre ursprünglichen Atome gebunden sind. Dieses ionisierte Gas (freie Elektronen) leitet Strom und reagiert auf Magnetfelder. Wir kennen es von Blitzen, Polarlichtern und interstellaren Gaswolken. Plasma wird auch oft als vierter Aggregatzustand bezeichnet.
Den Reaktor bauten später zwar andere, aber die Idee, Fusionsenergie zur Erhöhung der Sprengkraft zu verwenden, konnte Sacharow erfolgreich in Waffentechnik umsetzen: die russische Zar-Bombe sorgte am 30. Oktober 1961 für den größten nuklearen Wumms der Menschheitsgeschichte. Glück im Unglück: im Gegensatz zum Rivalen USA, ließ man es "nur" über unbewohntem Gebiet im Norden der russischen Einöde krachen. Mit mindestens 50 Megatonnen Sprengkraft war die "Zar-Bombe" mehr als 3000 mal so stark wie "Little Boy" 1945 über Hiroshima in Japan. Wasserstoffbomben sind eigentlich gewöhnliche Atombomben, mit Kernspaltungs-Kettenreaktion und zusätzlichem Fusionsturbo.
Der Tokamak (Abkürzung für "Toroidale Kammer mit Magnetspulen", "Tok" heißt "Strom") ist wie schon erwähnt noch immer ein heißes Eisen. Bisher wurden 19 Versuchsreaktoren dieses Typs gebaut, diese stehen rund um den Globus verstreut in 15 Ländern und haben folgendes gemeinsam: sie erzeugen noch keinen Strom. Aber sie laufen tatsächlich, auch wenn die Herausforderungen nicht nur für Otto Normalverbraucher eigentlich kaum zu fassen sind. Das Plasma, das in ihnen durch gigantische Magnete gefangen ist, erreicht Temperaturen bis 200 Millionen Grad (Spitzenreiter China mit seinem EAST) und darf auf keinen Umständen mit der Reaktorwand in Berührung kommen. Die dafür verwendeten Materialien sind Wolfram (Schmelzpunkt 3422 °C) und Beryllium (1287 °C), diese Legierung bietet die beste Kombination aus hoher Hitzebeständigkeit und Plasma-Kompatibilität. Die Magnete liefern Leistungen bis zu 12 Tesla (ITER). Das Erdmagnetfeld hat 50 Mikrotesla (µT) oder 0,00005 T, ein Kühlschrankmagnet etwa 5 Millitesla (mT) oder 0,005 T und Geräte für Magnetresonanztomographie (MRT) meist 1,5 – 3 T. Brennstoff sind bei allen irdischen Fusionsreaktoren immer die Wasserstoff-Isotope Deuterium und Tritium.
Eine Alternative zum Tokamak ist der Stellerator. Dieses Konzept geht wiederum auf einen Amerikaner zurück: Lyman Spitzers erster Entwurf eines Stellerators stammt aus dem Jahre1951 und wurde in einem guten Dutzend abgewandelter Bauformen bis heute weiterentwickelt. Sie sind ebenfalls alle torusförmig, allerdings in sich schraubenartig verdreht. Die ebenso mitverdrehten Magnete ermöglichen einen stabileren Plasmaeinschluss und benötigen auch weniger Energie, da im Gegensatz zum Tokamak in ihnen kein toroidaler Strom im Plasma aufrecht erhalten werden muss. Davon stehen heute acht Stück in sechs Ländern. Der Wendelstein 7-X (D) ist nicht nur der größte weltweit, er hält auch den Rekord mit dem am längsten aufrecht erhaltenen Plasma: immerhin 8 Minuten lang. Dass er dabei nicht überhitzt, gelingt u.a. durch ein 6,8 km langes Netz aus Wasserrohren, das in der Innenwand der Anlage verbaut ist und die Wärme effizient ableitet. Die Außenwand besteht aus sogenannten Divertor-Prallplatten (hier ein Verbundmaterial aus Wolfram, Molybdän, und Graphit). Die Plasmaheizung nutzt verschiedene Methoden, u.a. auch eine Mikrowellenheizung wie im Tokamak.
Welches System sich schlussendlich durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. Gut möglich, dass auch völlig neue Ansätze das Rennen machen werden. Die Vorteile gegenüber Fissionsreaktoren leuchten auf den ersten Blick zumindest ein: der Wasserstoff geht so schnell nicht aus (Uranerz sehr wohl), eine Kernschmelze ist nicht zu befürchten und die Abfallprodukte sind zwar nicht völlig problemlos zu handhaben und ebenfalls radioaktiv, aber ihre Halbwertszeiten erstrecken sich über Jahrhunderte und nicht Jahrtausende oder gar Millionen Jahre wie bei den immer mehr - und immer älter - werdenden Kernspaltungsreaktoren. Das Thema Energie und Stromgewinnung gewinnt durch den weltweit weiter ansteigenden Lebensstandard und der damit einhergehenden voranschreitenden Technologisierung und Digitalisierung immer weiter an Bedeutung. Mehr von der friedlichen Nutzung der Kernfusion und vom Bau des 20. Tokamak gibt's unter TechnoSoph|Technik - "Kernfusion: Was ist bloß mit ITER los?"